Ein immer aktuelles Thema, weil erben und vererben früher oder später jeden betrifft.
Ein oft herausforderndes Thema, weil jeder Mensch seine eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen und jede Familie ihre eigene Geschichte und Sprache hat.
Ein Thema, mit dem sich auch Michael Groß, Mediator, Nachlassabwickler und Testamentsvollstrecker beschäftigt. Gegen ein Streiten im Sinne einer sachlichen, konstruktiven Auseinandersetzung, eines respektvollen Ringens um tragbare Lösungen sei ja nichts einzuwenden, so der Mediator. Allerdings gelte es zu vermeiden, dass so ein Streit ins destruktive kippt, eskaliert, sich verfestigt und dann auch noch an nachfolgende Generationen weitergereicht wird. Dann werde der Streit zum Energieräuber, der die Lebensqualität und die Beziehungen massiv beeinträchtigen kann. Nicht nur das: Er hat auch das Zeug Nachlasswerte zu vernichten.
Doch wie beim Erben und Vererben solchen destruktiven Streit vermeiden? Michael Groß nennt hierzu Ansatzpunkte in vier Bereichen.
Beziehungen pflegen und offen kommunizieren
Aus seiner Erfahrung aus vielerlei Mediations- und Nachlassfällen zeichnet sich für Michael Groß ein Muster ab: Den destruktiven Fällen sei gemeinsam, dass die Beziehungen - und in der Folge die Kommunikation - gestört seien. Und das zeitlich oft schon vor dem Erbfall. Nach dem Erbfall herrsche dann Sprachlosigkeit oder das wenige Gesprochene konzentriere sich auf Vorwürfe und Unterstellungen. Wenn die Beziehungen im Argen lägen, würden sich bei den vielen zu bewältigenden Aufgaben rund ums Erbe immer Anknüpfungspunkte für Konflikte ergeben, und sei es, was auf der Schleife des Blumenkranzes für die Beerdigung stehe.
Das bietet für Mediator Groß einen ersten wichtigen Ansatzpunkt zur Vermeidung genau solch destruktiver Muster: Den Beziehungsboden frühzeitig düngen. Beziehungen frühzeitig klären, wenn sie es den Beteiligten denn wert sind, auch und insbesondere zwischen Geschwistern. Beziehungen seien kein Selbstläufer, sie bedürfen der Pflege. Dann falle auch die spätere Kommunikation über Erbthemen leichter.
Immer hilfreich sei, so Groß, auch die Beschäftigung mit der eigenen (Familien-)Geschichte. Solch eine „biografische Forschungsreise“ helfe nicht nur der eigenen Klärung, sondern diene auch dem Erkennen, Bewusstwerden und gegebenenfalls der Durchbrechung einengender familiärer Muster und ererbter Konflikte. Manchmal brauche es auch Vergebung, dem anderen und sich selbst gegenüber, und stets den Blick nach vorne.
Nachlassregelung treffen
Ein weiteres Feld zur Streitvermeidung sieht Groß in der Nachlassregelung. Er unterscheidet hier drei Stufen: „Nichts geregelt“, „Stilles Kämmerlein“ und „Runder Tisch“.
„Nichts geregelt“
In Deutschland verstarben in den letzten Jahren jeweils etwas mehr als eine Million Menschen. Die Mehrzahl der Verstorbenen hatte laut Umfragen nichts geregelt. Es kam dann zur gesetzlichen Erbfolge. Das könne passen, so Groß, wenn sich alle blendend verstehen, die Familie dem alten gesetzgeberischen Ideal entspricht, das hinterlassene Vermögen einfach strukturiert ist und innerhalb der gesetzlichen Freibeträge liegt. Oft sei dies jedoch nicht der Fall und es kommt zu zusammengewürfelten Erbengemeinschaften mit Personen, die sich „nicht grün sind“ oder ganz unterschiedliche Ziele verfolgen. Die Nachlassabwicklung sei in solchen Fällen oft ein kompliziertes, belastendes und langatmiges Unterfangen – und häufig ein Biotop für Streit. Gehört zusätzlich ein Unternehmen zum Nachlass, könne dessen Existenz gefährdet sein.
Groß empfiehlt deshalb, mit Ausnahme von begründeten Ausnahmefällen, in denen der Erblasser dann am besten vorher auch seine Motive offenlegt, eine Regelung über das eigene Vermögen zu treffen, sei es durch Testament oder Erbvertrag. Aber auch hier gebe es Unterschiede:
„Stilles Kämmerlein“
Manche regeln ihren Nachlass testamentarisch für sich allein oder mit einem Vertrauten ihrer Wahl, ohne mit den Angehörigen darüber zu sprechen. Ihre Beweggründe legen sie nicht offen, oft aus Angst, ihre Beziehungen mit bestimmten Personen für die restliche Lebenszeit zu belasten. Die Gefahr dieser Vorgehensweise sieht Michael Groß darin, dass die Sichtweisen und Anliegen der später Betroffenen unberücksichtigt blieben und Streit an die nächste Generation weitergereicht oder durch die Erbregelung gar erst verursacht werde.
„Runder Tisch“
Heißt, sich über die Regelung seines Nachlasses im Vorfeld Gedanken zu machen, seine Beweggründe mit den Betroffenen zu besprechen und diese bitten, auch ihre Gedanken einzubringen. Das schließt den Austausch über die individuellen Gerechtigkeitsmaßstäbe mit ein. Oder die Betroffenen, z.B. die Kinder, bitten, sich selbst Gedanken zu machen und mit einem Vorschlag auf den/die Erblasser zuzukommen. Das Ergebnis des Austausches fließt in die Nachlassregelung mit ein. Oftmals eröffnen sich hierbei neue Perspektiven, die vorteilhaft für alle Beteiligten sind. Natürlich braucht es für ein Gespräch am „runden Tisch“ einen geschützten Rahmen und es sollte in wertschätzender Form stattfinden; ggf. auch mit Unterstützung eines neutralen Dritten, z.B. eines Mediators.
Groß: „Wenn es bei solchen Gesprächen gelingt, dass sich jeder, zumindest in gewissem Umfang, beachtet, gehört und verstanden fühlt, dann gibt das jedem „Luft zum emotionalen Aufatmen“ und die Wahrscheinlichkeit für destruktiven Streit sinkt. Ganz gerecht wird man es laut Mediator Groß wegen der je eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen in der Regel nicht hinbekommen, jedenfalls aber gerechter und beziehungsschonender.
Handwerkliche Fehler vermeiden
„Gut gemeint ist nicht immer gut“. Trotz wohlmeinender Absichten können handwerkliche Fehler zu ungewollten und als ungerecht empfundenen Resultaten und schließlich zu Streit führen. Solche Fehler gelte es laut Groß deshalb zu vermeiden. Beispiele hierfür können sein:
Unwirksamkeit eines Testaments wegen Formfehlern (z.B. nicht handschriftlich, ohne Unterschrift) vermeiden.
Amtliche Verwahrung des Testaments, um auszuschließen, dass ein Testament bei Seite geschafft wird, verloren geht, nicht aufgefunden oder vergessen wird.
Es existieren mehrere Testamente und es ist unklar, welches das letzte ist. In einem zeitlich später verfassten Testament am besten klarstellen, ob und in welchem Umfang ein zeitlich früheres Testament noch gelten soll.
Ungenaue Bestimmungen des/der Erben vermeiden (z.B. ob Kinder der Schwester erben, wenn die Schwester vorverstorben ist).
Einsetzung von Ersatzerben (wenn Erbe vorverstirbt oder ausschlägt).
Unklare Formulierungen vermeiden (z.B. „Vermachen“ statt „Vererben“) oder Formulierungen, die gleichzeitig als Teilungsanordnung und Vorausvermächtnis interpretiert werden können.
Fehler in gemeinschaftlichen Testamenten vermeiden (z.B. Unklarheiten bzgl. einer Bindungswirkung für den Letztversterbenden oder für die zweite Ehe bei gemeinschaftlichen Testamenten aus erster Ehe).
Unklarheiten bei dem komplizierten Konstrukt der Vor- und Nacherbfolge vermeiden (z.B. hinsichtlich Verfügungsbeschränkungen und Verwaltungsvorgaben); Nacherbe nicht mit Schlusserbe verwechseln.
Etwaige Regelungen für den Fall der Scheidung treffen.
Bewertungsverfahren für Vermögen regeln (z.B. Bewertung von Grundvermögen nach § 194 Baugesetzbuch und ggf. bereits den Gutachter benennen).
Umgang mit früheren Zuwendungen/Übertragungen klar regeln oder besprechen. Die Informationslage zwischen den Beteiligten ist hier oft unvollständig/unklar.
Wie können solche handwerklichen Fehler vermieden werden? Sich gut informieren, rechtlichen Rat einholen oder das Testament vor einem Notar errichten.
Weitere vorbeugende Maßnahmen zur Streitvermeidung:
Hier nennt Groß beispielhaft die folgenden Maßnahmen:
Die Regelung des eigenen Nachlasses nicht auf den „Sankt-Nimmerleinstag“ verschieben („Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“).
Notfallordner/-koffer anlegen, inkl. Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung.
Die Nachlassregelung von Zeit zu Zeit auf Änderungsbedarf überprüfen („Das Leben ist im Fluss“).
Im Unternehmensbereich: Nachfolge rechtzeitig einleiten.
Im Unternehmensbereich: Ggf. gemeinsam Familienverfassung erstellen.
In ein späteres Erbe (Immobilie, Betrieb) zu Lebzeiten einweisen.
Familiengespräch und/oder Mediationsverfahren vorbeugend durchführen: Bietet geschützten Rahmen für Kommunikation.
Mediationsklausel in die Nachlassregelung mit aufnehmen.
Testamentsvollstreckung anordnen oder sonstige Vertrauensperson, die „keine Eisen im Feuer hat“ mit Nachlassabwicklung beauftragen.
Beerdigung regeln (ggf. inkl. späterer Grabpflege).
Regeln, was mit dem Inventar passieren soll.
Vermögensübergabe zu Lebzeiten, auch aus steuerlichen Überlegungen und ggf. mit Rückübertragungsmöglichkeiten.
Vermeiden, dass die Familienmitglieder auf einem sehr unterschiedlichen Informationsstand sind oder gehalten werden. Das kann sonst Misstrauen fördern, z.B. dahingehend ob bei Abfassung des Testaments nicht „Formulierungshilfe“ zu eigenen Gunsten geleistet wurde oder ob Vermögenswerte existieren, von denen andere Beteiligte nichts wissen. Geboten ist hier die Herstellung von Transparenz.
Dem Testament ein Brief hinzufügen (abgesetzt vom Testament, damit keine Probleme im Falle von Auslegungsfragen geschaffen werden), über was ich dankbar bin, was ich den Hinterbliebenen von ganzem Herzen wünsche oder worum ich sie noch bitte.
Käme vielleicht eine Adoption in Frage?
„Probesterben“: Alle Konstellationen gedanklich durchspielen (auch bezüglich unterschiedlicher Erstversterbender).
Erbvertrag abschließen:
Bei unverheirateten Paaren, um sich gegenseitig abzusichern, da gemeinschaftliches Testament für diese nicht möglich.
Bei Patchworkfamilien, auch zur Vermeidung von Streit zwischen den Kindern (Kinder des/der Erstversterbenden ggf. benachteiligt, da diese bei gesetzlicher Erbfolge nur am ersten Erbgang beteiligt sind).
Auch bei diesen weiteren Maßnahmen zur Streitvermeidung empfiehlt Michael Groß sich gut zu informieren, rechtlichen Rat einzuholen oder die Punkte beim Notar anzusprechen.
Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: „Erben und Vererben ohne Streit: Geht das überhaupt?“ Ja, es geht, aber Sie sollten es nicht dem Zufall überlassen!
Mehr Informationen direkt bei Mediator Michael Groß:
▶ https://gross-mediation.de